China-Artikelflut in Europa
Im folgenden handelt es sich um einen Gastbeitrag von Mark Steier, erschienen auf wortfilter.de und im folgenden mit freundlicher Genehmigung abgedruckt:
Viele Verkäufer haben es nicht richtig auf dem Schirm, oder denken sich „da kann mir Nichts passieren“, aber die Sache betrifft fast jeden Onlinehändler, egal auf welchen Verkaufskanälen oder Artikeln er aktiv ist. Meine Prognose geht sogar weiter und ich behaupte „Wenn das so weiterläuft, kann ein großer Teil der Kleinpreishändler, Private-Label- oder Noname-Handelswaren-Verkäufer in 1-2 Jahren seinen Onlinehandel dichtmachen!“
China-Shopping-Apps:
Die schon fast klassische Variante und nichts wirklich Neues, aber bei jüngeren Käufern immer beliebter. Über Smartphone-Apps wie Wish sowie Ablegern (Home, Geek usw.) gibt es massenhaft Noname-Artikel zu Preisen, wie sie kaum ein deutscher Händler bieten kann. Klar: die Chinesen haben einen anderen Kostenfaktor, der Versand wird subventioniert und durch den Direktvertrieb kommen andere Preise zustande, wie es z.B. über einen deutschen Zwischenhändler oder Private-Label-Mensch mit europäischen Auflagen möglich wäre. Durch die Einbindung vom Klarna Rechnungskauf ist der Einkauf gegenüber z.B. AliExpress selbst für die deutsche Hausfrau inzwischen kein Problem mehr und wer denkt „mein Gott, die paar Verkäufe“, der sollte sich langsam bewusst werden, das es eben nicht nur ein paar Bestellungen sind. Wish hat die Umsatzmilliarde im Jahr längst geknackt, AliExpress baut an europäischen Shops / Lagerstätten und es wird immer mehr.
China-Artikel auf den Plattformen insbesondere Amazon:
Zu den bekannten Apps haben die Chinesen unsere üblichen Plattformen zunehmend im Visier. Die Angebote werden qualitativ immer besser und besonders Amazon wird momentan regelrecht mit neuen Produkten geflutet. Man darf die Chinesen auch nicht als dumm abstempeln: denen ist klar das mit dem Brexit ein Zollschlupfloch wegfällt und die Kunden sowieso auf schnellen Versand stehen, entsprechend wird seit Monaten immer mehr in der EU oder bei Amazon FBA eingelagert und fast nur noch App-Bestellungen direkt aus Shenzhen und Co versendet. Wer jetzt denkt „mir egal, bin ja nicht auf Amazon“, der verliert wohl die Realität aus den Augen. Im deutschen eCommerce geht inzwischen jeder 2te Euro Umsatz über Amazon.de und der Stammkundenanteil wächst stetig. Als große Eigenmarke oder echte Nische hat man vielleicht noch Chancen in einem eigenen Shop, aber ansonsten kommt man kaum noch um die Plattform drumherum. Die Chinesen wissen das, sehen an den momentan Private-Label-Händlern was gut geht, und steigen selber ins Geschäft ein. Die aktuelle Vorgehensweise dabei ist knallhart und die Anzahl neuer Artikel unglaublich.
Der Hauptpunkt beziehungsweise was sich viele Händler vielleicht schon gefragt haben: Wie schaffen es die Chinesen innerhalb kürzester Zeit ganze Geschäftsbereiche zu entern und bei Amazon nach vorne zu kommen?
Eines vorweg: das liegt auch aber bei Weitem nicht nur am Preis, sondern es wird illegal gepusht was nur geht und dabei richtig Geld in die Hand genommen. Habe mich vor ein paar Wochen testweise selber in diverse Kreise einschleichen können und die Sache selber durchprobiert. Wer bereits ein Amazon-Produkt gelauncht hat und sich in diversen Kreisen über die Listing-Optimierung informiert, bekommt i.d.R. tolle Tipps zu Rabattcodes über Produkttester-Clubs, Keyword- und Textoptimierung. Die Chinesen denken da völlig anders und gehen viel weiter! „Geld verdienen mit Amazon-Einkäufen – kostenlose Produkte und Geld obendrauf“: Es geht dabei schlichtweg um fingierte Bestellungen und verifizierte 5-Sterne-Reviews. Einfache Erklärung: Wer auf Amazon viele gute Produktbewertungen und ein paar Verkäufe jeden Tag vorzuweisen hat, der rutscht selbst mit der miesesten Produktbeschreibung ganz weit nach vorne. Teilweise gibt es sogar das Badge „Amazon Choice“ für Produkte, welche kaum einen Monat am Markt sind und steht das Angebot einmal auf den vorderen Plätzen, ist es für deutsche Händler alleine schon preislich kaum noch möglich weiter in dem Segment mitzuspielen. In meiner Branche bestehen die ersten 2 Suchergebnisseiten zu 90% inzwischen aus China-Angeboten und wer dahinter gelistet ist, oft mit nicht vermeidbarem höheren Preis, der hat ein echtes Problem. Diese Produkttests sind in der Form laut Marktplatz-AGB verboten, aber Amazon und eBay haben entweder kein Interesse daran das zu unterbinden, oder aber keine Möglichkeiten, da über die Plattform mit der Methode nichts Auffälliges passiert. Die chinesische Vorgehensweise ist dabei fast immer gleich.
– So bekommt man kostenlose Produkte und Geld obendrauf bei Amazon –
In geheimen WhatsApp & Telegram-Gruppen, sowie Facebook-Gruppen werden seitenweise neue China-Prime-Produkte von deutschen Handelsagenten oder den Chinesen direkt via Fake-Accounts präsentiert. Alleine über den Telegram-Messenger bekomme ich momentan täglich über 1000 verschiedene Angebote zum Testen zugespielt. Die Facebook-Gruppen haben oft nur wenige Tage Lebenszeit, aber mit dem Zwischenweg über deutsche Agenten oder Fake-Profile wird sichergestellt das Amazon nicht erkennen kann, um welche Verkäufer und Produkte es sich genau handelt. Als „Tester“ sucht man sich sein gewünschtes Produkt aus, schreibt den Anbieter an, schickt (wenn danach gefragt wird) einen Link zu seinem AMZ-Profil und handelt kurz die Bedingungen aus, denn manche Verkäufer möchten kein Review, andere erst nach 5 Tagen, die Testeranzahl pro Tag ist begrenzt, etc. Je besser das eigene Amazon-Profil (hoher Rank, viele nützliche Reviews), umso teurer werden meist die angebotenen Testprodukte. Vom Anbieter erhält man die Keywords, als Beispiel „bunte Luftballons“ und das richtige Produktbild sowie Mailadresse des Verkäufers zugesendet. Man geht zur Amazon-Suche, gibt die Keywords ein, legt mehrere ähnliche Artikel sowie den Testartikel in den Warenkorb, schaut sich ein bisschen diese Artikel an, wirft die Nicht-Testartikel wieder aus dem Warenkorb raus und bestellt das China-Produkt. Nach der Lieferung durch Amazon (zu 99% sind es Prime-Artikel) wartet man 2-3 Tage bis bei Amazon die Zustellung auf „ausgeliefert“ umspringt und schreibt anschließend eine 5-Sterne-Bewertung mit nett klingendem Text sowie ein paar Bildern. Sobald 2-3 Tage später die verifizierte Bewertung bei Amazon erscheint, macht man davon einen Screenshot, kontaktiert den Anbieter und bekommt innerhalb 2-3 Tagen den Produktpreis + eine eventuelle Zulage (Commission) via PayPal erstattet.
Und ja: die Erstattungen kommen i.d.R. sehr schnell, denn als Käufer sitzt man am längeren Hebel und könnte problemlos zurücksenden / negativ Bewerten. Wie man sieht: kein deutsches Händlerdenken, nix Amazon Vine oder Club der Produkttester-Verlosung, keine Rabattcodes, keine Kommunikation über Amazon, der Kaufablauf wird nachgestellt wie bei einem echten Kunden. Da nicht immer eine Bewertung nötig ist, manche Produkte werden ohne Rezension erstattet, kann man die Fake-Tests auch nicht unbedingt an der Bewertungsquote festmachen. Habe es selber ausprobiert, innerhalb weniger Tage für 800€ Waren „kostenlos“ nachhause bekommen und mich dafür nicht mal angestrengt. Wer es also richtig darauf anlegt, kann so in kurzer Zeit deutlich mehr erzielen und es finden sich genug Kunden, die ihre Accounts für kostenlose Produkte hergeben. Den Chinesen kommt das sehr zuvor…
Wer jetzt denkt „das ist doch sicher nur der übliche China-Kleinkram“, der irrt gewaltig!
Es werden längst nicht nur USB-Kabel angeboten, sondern eigentlich Alles was man günstig in China produzieren kann und das ist eine ganze Menge. Vom Haushaltsartikel zum Bürostuhl über Regale und Schminke, sowie Spielzeuge, Lampen, Bürobedarf, Textilien bis hin zum Beamer und sämtlicher Elektronikkram – selbst Produkte über 100€ sind keine Seltenheit. Je billiger der Artikel, umso höher sind sogar die Zuzahlungen (Commission)! So gibt es bei recht langweiligen oder billigen Artikeln wie Handyzubehör, Sextoys oder Globuli-Wunderpillchen inzwischen bis zu 10€ auf den Kaufpreis obendrauf und der deutsche Agent/Vermittler kassiert auch noch einen Anteil. Egal was es kostet, Hauptsache gute Bewertungen und schnell nach vorne!
Wie wichtig den Chinesen die Bewertung ist, sieht man daran, wenn man einen aktuellen China-Kauf mit 1 Stern bewertet. Da werden ohne mit der Wimper zu zucken Angebote mit bis zu 50€ über PayPal für die Löschung gemacht…
Allgemeines:
Von jedem neuen Testprodukt werden, je nach Segment, zwischen 5-50 Stück über einen Zeitraum von bis zu 4 Wochen kostenlos rausgegeben. Ist der Artikel anschließend auf Seite 1 der Suchergebnisse oder sogar als Amazon-Choice gekennzeichnet, werden keine Tester mehr gesucht, der Rubel rollt und es rutschen sogar ein paar echte Bewertungen nach. Zusätzlich sorgen die Verkäufer noch für einen Schwung „nützlich/hilfreich“-Klicks auf den Bewertungen, welche ihnen am Besten passen, um das Angebot final zu optimieren. Zwar bin ich auch auf eine Hand voll deutsche Händler mit diesen Methoden gestoßen, zu 95% handelt es sich aber um Chinesen und wenn diese in einem Segment erst einmal die Top-Positionen besetzen, hat man durch Preisunterschiede kaum noch Chancen auf einen guten Absatz. Nur um es am Rande zu bemerken: für eBay gibt es ähnliche Angebote. Dort zählen die Produktbewertungen zwar kaum, aber für das Ranking müssen Käufer auf den Artikel drauf, also werden bei neuen Listings direkt ein paar Produkte billigst verschenkt, oder erst Centartikel verkauft und der Artikel geändert. Aufgrund der mir vorliegenden Auswahl-Listen wird es in nächster Zeit noch viele weitere Bereiche betreffen und der einzige Ausweg ist wohl das Umsatteln auf echte Markenware (insofern möglich) oder unvergleichbare Produkte, welche nicht schnell und günstig in China produziert werden können. Ein schwieriges Unterfangen auf die Schnelle und in meinen Listen wird schon längst auf das Weihnachtsgeschäft hingearbeitet. Viele halten ja immer Amazon für den Bösewicht, welcher sich abschaut was gut läuft und die Sachen dann selber ins Sortiment aufnimmt. Aber ist es wirklich so? Ich finde die Amazon-Eigenmarken das kleinere Übel gegenüber dem, was momentan aus China anrollt. Selbst wenn die Plattformen ihre fälschbaren Bewertungen abschalten und den Algorithmus ändern würden, wäre das nicht das Ende der Chinaflut. Auch eine Zwangs-Steuerbescheinigung ist kein Hindernis. Der deutsche eCommerce-Markt ist einfach zu stark um ihn links liegen zu lassen und selbst mit Steuern und dem Drumherum können die Chinesen hier durch den Wegfall der deutschen Zwischenhändler in sämtlichen Bereichen ganz andere Preise anbieten.
Ab jetzt seid ihr dran!
Sind eure Artikel „vergleichbar / in China ähnlich produzierbar“, oder bestellt ihr auf Alibaba und verkauft die Artikel hier weiter, dazu noch über Amazon oder eBay? Dann solltet ihr euch bewusst sein, wie schnell der Verkauf abreißen könnte! Sobald die Chinesen merken „in dem Bereich geht ja was“, dauert es im Worst-Case nur wenige Wochen und ihr seid plötzlich machtlos gegenüber den neuen und zumeist viel billigeren Angeboten…
Mein persönliches Fazit:
Habe es die letzten Wochen schon mehrfach angemerkt, aber scheinbar viel zu lange an meinem Sortiment festgehalten und die Augen verschlossen. Jetzt hilft bei meinem Handel nach 18 Jahren das erste Mal nur noch „Reißleine ziehen“. Das Sellerforum werde ich auf jeden Fall fortführen, aber finanziell reicht das nicht um damit über die Runden zu kommen. Habe zwar ein schönes JTL WMS-Lager, etwas Restware und Erfahrung, aber meine Reserven sind weit aufgebraucht und den Handel wie gehabt weiterführen wäre vergebene Liebesmüh. Gegen die Flut aus China komme ich in meinem bisherigen Bereich als One-Man-Show auf Dauer einfach nicht mehr an, egal wie oft ich Öko und Qualität in meinen Shop schreibe. Hatte natürlich auch einen Plan B und Plan C, aber in der aktuellen Situation ist davon keiner mehr umsetzbar.
Fazit von Fabian:
Ich stimme der Ernsthaftigkeit von Marc’s-Sichtweise zu. Es war uns daher ein Anliegen, dass dieser Bericht veröffentlicht wird. Auch speziell auf Dropshipping bezogen, ist es mit „copy and paste“ nicht mehr getan. Wir appellieren daher schon seit langem, dass der Vertrieb auf echte Nischensortimente fokussiert werden muss. Eine Abhängigkeit von Amazon muss vermieden werden, wenn auch ein Ignorieren der Plattform faktisch unmöglich ist. Wir beobachten diese Flut in der tat auf vielen Plattformen, dennoch gibt es noch immer Sortimente die kaum Wettbewerb haben. Die Frage muss natürlich erlaubt sein: für wie lange noch?! Es gilt daher die Augen nicht zu verschließen und anzuerkennen, dass der Wettbewerb rauer wird. Dennoch ist der E-Commerce unverändert auf Wachstumskurs. Es wird daher wichtiger denn je, die richtigen Angebote zu finden und diese durch eigene Alleinstellungen zu platzieren. Als EU-Dropshipper sollte daher bewusst mit Nischen gearbeitet werden, die unverändert lukrativ sind. Ein gutes Beispiel sind regionale Weinhändler. Diese sind auch 2019 kaum online präsent und haben kaum eine eigene Webseite, geschweige ein Webshop. Diese Nischen gilt es Dingfest zu machen. Denn auch ich bin überzeugt, dass insbesondere den China-Dropshippern das Ende unmittelbar bevorsteht, einfach darum, weil die Hersteller aus Fernost inzwischen selbst aktiv werden und den Markt fluten! Wenn dein Sortiment daher ausschließlich aus austauschbaren Produkten besteht, wie Marc es anhand von Luftballons beschrieben hat, dann sind die letzten profitablen Tagen gezählt. In diesem Sinne; das Weihnachtsgeschäft ist gelaufen!