Das kundenorientierteste Unternehmen der Welt: Alles nur Fasade?!

Amazon – der Online-Gigant. Die Plattform bietet gute Chancen für kleine und große Anbieter, schnell eine attraktive Zielgruppe zu erreichen und sich effizient und stressfrei einen umfangreichen Kundenstamm aufzubauen. Aber wie sieht es mit der Fairness des Unternehmens aus? Immer wieder gibt es Schlagzeilen, die Amazon im schlechten Licht erscheinen lassen. Amazon steht darin oft für Ausbeutung, Steuertricks und das Schwächen für Gewerkschaften. Außerdem zerstört Amazon gemäß den Anschuldigungen den lokalen Handel und Arbeitsplätze und ist mittlerweile ein Synonym für Klimazerstörung, Überkonsum, Konsumentenkontrolle und Überwachung. Der Konzern, gegründet vom reichsten Mann der Welt – Jeff Bezos – gilt als Paradebeispiel dafür, wie verheerend sich die wachsende Macht von Weltkonzernen auf unsere heutige Gesellschaft auswirkt. Dabei dringt Amazon mittlerweile in fast alle Lebensbereiche vor. Sogar in den Gesundheitssektor, der gerade jetzt – in Krisenzeiten – wesentlich für die Gesellschaft ist. Auch sonst profitiert Amazon von der Covid-19 Krise – der Umsatz des Konzerns ist im 1. Quartal bereits um 22 Prozent gestiegen, der Aktienkurs kletterte um 42 Prozent nach oben. Das Vermögen von Jeff Bezos ist damit jetzt unfassbare 37 Milliarden Euro HÖHER als das Vermögen des zweitreichsten Mannes der Welt, Bill Gates!


Amazon und die Steuern


Durch Gewinnverschiebungen in unwägbare Steuersümpfe schafft es Amazon, die Welt um Milliarden zu prellen – und das zum Teil mithilfe der Regierungen. So wurde der Konzern in Luxemburg beispielsweise vom damaligen Premierminister unterstützt, der Amazon dabei half, Steuerzahlungen illegal zu umgehen. Somit gelang es dem Konzern schließlich über 75 Prozent seiner Gewinne in Europa nicht zu versteuern. Von 2007 bis 2017 hat Amazon in Luxemburg einen Umsatz von 111 Milliarden Euro erzielt und einen Gewinn von 457 Millionen erwirtschaftet. In diesem Zeitraum zahlte Amazon jedoch keinen Cent Steuern – im Gegenteil, das Unternehmen verbuchte eine Steuergutschrift von 15 Millionen Euro.


2017 kam der Betrug ans Licht und die EU-Kommission entschied, dass Amazon über 230 Millionen Euro an das Land Luxemburg zurückzahlen muss: die Summe, die ab 2006 durch illegale Steuermodelle erzielt wurden. Luxemburg legte jedoch 2018 Einspruch gegen die Klage ein, das finale Ergebnis der Verhandlung steht noch nicht fest.


Und auch in Großbritannien trickst sich Amazon munter durch die Steuerzahlungen. Im Jahr 2018 machte Amazon dort 1,4 Milliarden Euro Umsatz, jedoch angeblich nur 65,5 Millionen Euro Gewinn. Nur 14,5 Millionen Euro wurden dort als Körperschaftssteuer abgeführt. Nach Schätzungen von Experten hätte Amazon jedoch mindestens 114 Millionen Euro Steuern zahlen müssen.


Auch in den USA setzte Amazon seine Steuertricks erfolgreich um. Im Jahr 2018 erzielte der Konzern 11 Milliarden Euro, nutzte jedoch Steuergutschriften, Steuerbefreiungen und kam so auf einen Steuerfreibetrag in Höhe von 125 Millionen Euro. Das Ergebnis: Ein Steuersatz von Minus einem Prozent! Statt Steuern zu zahlen, erhielt Amazon also noch Geschenke on top.


Das Erstaunliche daran: Trotz dieser Steuertricks wünschen sich viele Länder und Städte Amazon vor Ort und subventionieren den Konzern mit Zuschüssen, dem Bau von Infrastruktur und Förderungen. Mehr als 600 Millionen Euro wurden in den USA zwischen 2005 und 2014 gezahlt.


Ausbeutung von Mitarbeitern und Überwachung von Gewerkschaften


Nicht nur die Welt der Steuern nutzt Amazon gewinnbringend für sich, auch das Arbeitsrecht und die Lohnzahlung gebraucht der Konzern mit System. In vielen Ländern sind exzessive Arbeitszeiten, fehlende Pausen und niedrige Löhne an der Tagesordnung. Auch der Missbrauch von Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge und Entlassungen am Ende der Probezeit sind allgegenwärtig. Mitarbeiter werden systematisch überwacht, Scanner registrieren jeden unerlaubten Toilettengang außerhalb der Pausenzeit und jeden kollegialen Kaffee-Plausch. Der Druck scheint groß zu sein – Christi Shrum aus Südkalifornien berichtet, dass sie oft Kollegen bat, mit ihrem Scanner Artikel zu scannen, während sie auf die Toilette ging. Um zu vertuschen, dass sie unerlaubt den Arbeitsplatz verließ.


Auch ein Mitarbeiter aus Österreich berichtete von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, ständiger Überwachung und erniedrigenden Vorschriften und Sanktionen. Mitarbeiter mussten beispielsweise als Strafe für unpassende Arbeitskleidung oder schlecht bewertete Arbeitsleistung in aufwendiger Zusatzarbeit, unter Aufsicht alle Pakete einzeln scannen, obwohl eine schnelle und effiziente „Gruppierte Scannung“ gewesen wäre. Außerdem ist das Tragen von persönlichen Gegenständen wie Uhren, Handys, Gürteln oder Kaugummis verboten. Wer derartige Gegenstände mit sich führt, steht unter Generalverdacht, diese aus einem der Pakete entwendet zu haben.


Der Druck, die Geschwindigkeit und mangelhafte Gegebenheiten vor Ort sorgen immer wieder für Verletzungen und Unfälle. Seit 2013 sind weltweit 13 Mitarbeiter am Arbeitsplatz ums Leben gekommen, über 600 Beschäftigte wurden verletzt. In den USA ist der Anteil besonders hoch, denn hier scheinen die Bedingungen extrem hart zu sein. In sogenannten „Power hours“ sollen Mitarbeiter einen auffallend hohen Arbeitsaufwand bewältigen, Mitarbeiter würden dort sogar in Flaschen urinieren, weil sie Angst davor haben, auf die Toilette zu gehen. Der Konzern kündigte Mitarbeitern, weil diese „nur“ 98 Prozent der vorgegebenen Rate an Produkten verarbeitet hatten.


Zerstörung des lokalen Handels, Klima und Wettbewerb


Amazon zerstört durch Dumpingpreise, Steuer- und Lohntricksereien den lokalen Handel und den Arbeitsmarkt. Die USA schätzt, dass für jeden geschaffenen Amazon Arbeitsplatz zwei Arbeitsplätze vernichtet werden. In Österreich gehen nach Berechnungen des Handelsverbandes jährlich 20.000 Jobs durch den Online-Handel verloren und Amazon macht etwa 23 Prozent des gesamten dortigen Handels aus. Auffällig ist außerdem die Tatsache, dass Amazon seine Zentrallager sowohl in den USA als auch in Deutschland oder Frankreich in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Lohnniveau errichtet. So kann der Konzern auch kurzfristig auf billige Arbeitskräfte zurückgreifen – beispielsweise im Weihnachtsgeschäft.


Aufgrund der Marktmacht ist es außerdem für Kleinhändler kaum möglich, Amazon als Handelsplattform zu umgehen. Amazon gibt dabei nicht nur die Kosten und Handelsbedingungen vor – die Händler laufen außerdem Gefahr, dass wenn ein Produkt gut läuft, es von Amazon kopiert und unter eigenem Namen verkauft wird. Der Konzern beherrscht jedoch mittlerweile weit mehr Bereiche der Wirtschaft. Er betreibt eine eigene Frachtfluggesellschaft – Amazon Air – und ist auch in die weltweite Containerschifffahrt eingestiegen. Somit setzt Amazon auch andere Branchen mit bisher fairen Arbeitsbedingungen zunehmend unter Druck. Das Ziel, die Handelsinfrastruktur im 21. Jahrhundert völlig zu beherrschen, scheint greifbar.


Auch das Klima leidet, denn Amazon fokussiert nicht nur einen generellen Anstieg des Konsums und Versandhandels, auch die Vernichtung von neuwertigen Retouren sind ein großes Thema. Und auch das extrem hohe Datenvolumen, das Amazon für seine Server benötigt, macht sich bemerkbar: Schätzungen zufolge verursachten die Datenserver von Amazon im Jahr 2018 weltweit über 55,8 Millionen Tonnen an Treibhausgasen. Das entspricht in Etwa den Treibhaus-Emmisionen des Landes Portugals.


Kontrolle und Überwachung, wohin das Auge reicht


Nicht nur Mitarbeiter, auch Kunden und Nutzer werden überwacht. Amazon speichert jeden Klick, den Nutzer auf der Webseite machen. Außerdem hört das amazoneigene Sprach-Steuerungssystem Alexa nicht nur alles mit, sondern speichert die Protokolle auf unbestimmte Zeit. Für eine noch bessere Überwachung baut Amazon die Produktpalette von mit Amazon verbundenen Artikeln stetig aus und brachte so zum Beispiel kürzlich Kopfhörer mit entsprechender Spracherkennung und Lokalisierungsfunktion heraus. Die Türklingel-Kamera des Tochterunternehmens „Ring“ von Amazon speichert Aufnahmen, der Polizei in den USA liegen bereits jetzt vermehrt Aufnahmen von Nachbarhäusern vor. Auch ein Patent für eine Gesichtserkennung-Software von Amazon wurde kürzlich angemeldet – die Polizei in den USA nutzt die Software namens „Rekognition“ bereits jetzt im ganzen Land. Ein weiterer Schritt hin zur totalen Überwachung…


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Autorin: Anne Kalienke

Bildquelle: shutterstock_1792778026

07 Juli 2021