Ein Albtraum Namens Amazon
Die meisten Verkäufer verbindet wohl eine komplexe Hassliebe mit Amazon – einerseits lässt sich über keinen anderen Verkaufskanal eine solch hohe Anzahl an potenziellen Kunden erreichen, andererseits treibt Amazon die Verkäufer mit Auflagen, Restriktionen, Sanktionen und mangelhafter Kommunikation oftmals in den Wahnsinn. Und nicht nur das – auch schwere finanzielle Einbußen sind an der Tagesordnung, wenn Amazon mal wieder scheinbar willkürliche Entscheidungen wie Account-Sperrungen umsetzt. Aber nicht nur Amazon macht den Händlern das Leben schwer, auch die Verkäufer unter sich kämpfen um Klicks, Kunden und Conversions und überschreiten dabei im harten Konkurrenzkampf oftmals die Grenzen zur Illegalität. Wie sich die Marktmacht von Amazon bei allen Vorzügen, die das Portal mit sich bringt, auch negativ bemerkbar machen kann, erfährst du im Folgenden. Wir stellen dir zwei Fälle vor, wie die Zusammenarbeit mit Amazon im schlechtesten Fall laufen kann. Und sagen dir, wie du geschäftsschädigende Entwicklungen möglichst effektiv umgehst.
Fall 1: Von Klagewellen und Urkundenfälschungen
Es gibt viele Amazon Storys rund um konkurrierende Verkäufer und verrückte Rechtsfälle. Ein Fall bleibt dabei jedoch besonders im Gedächtnis: der Streit von zwei Amazon-Händlern mit einem dritten, besonders hartnäckigen Konkurrenten im Jahr 2018. Alle drei verkaufen Schwangerschafts- und Ovulationstests über Amazon – ein hart umkämpftes Produktsegment, in dem besonders viele Anbieter um die begehrte Buy Box kämpfen. Und dies wohl teilweise mit harten Bandagen. Denn der Konkurrent bombardiert die beiden Anbieter seit 2017 mit ungerechtfertigten Abmahnungen. Die beiden wehren sich mithilfe von Anwälten und erzielen schließlich wegen mutmaßlichen Rezessionsbetrugs eine Sperrung des Händler-Accounts.
Dieser schießt jedoch zurück. Plötzlich und ohne Vorwarnung werden aus unerfindlichen Gründen die wichtigsten Bestseller-Produkte der beiden Amazon-Verkäufer gesperrt und von der Plattform entfernt, was für die Händler zu Umsatzeinbußen im hohen, fünfstelligen Bereich führt. Nachdem der Anwalt der beiden die Rechtsabteilung von Amazon mehrfach um eine Stellungnahme bittet, erfährt er schließlich nach einer langwierigen, mühsamen Kommunikation den Grund für das Entfernen der Bestseller-Produkte. Amazon hat mehrere Briefe vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn bekommen. Die Behörde überwacht die Arzneisicherheit in Deutschland und erfasst mögliche Risiken und Gesetzesverstöße. Die Aussage des Instituts: Die Produkte der Seller seien nicht zugelassen.
Das offiziell wirkende Schreiben in Beamtendeutsch, gespickt mit dem Adler des Bundesamtes und diversen Paragrafen wirkt authentisch auf Amazon. In dem Dokument heißt es:
„Basierend auf aktueller deutscher Rechtslage […] müssen medizinische Produkte dieser Art obligatorisch eine fachgerechte Kennzeichnung vorweisen können. Die folgenden Produkte erfüllen die aufgelisteten Anforderungen aufgrund unter anderem fehlender Kennzeichnung sowie einer Zertifikatsfälschung nicht.“
Die Ausführungen beziehen sich auf eine Auflistung der Bestseller-Produkte der beiden Amazon-Seller, die dann anschließend prompt von Amazon gesperrt werden. Ein Anruf beim Bundesinstitut bringt Klarheit über den Sachverhalt: Die Briefe sind schlicht und einfach gefälscht und wurden gar nicht von der Bundesbehörde herausgegeben.
Das Bundesinstitut für Arzneisicherheit stellt daraufhin umgehend Strafanzeige wegen Urkundenfälschung und Amtsanmaßung – was dann folgt, gleicht einem Vorabend-Krimi. Der Anwalt der beiden Amazon-Händler lässt eine Unterschriftenanalyse von den Abmahnungen an die beiden Seller und den Unterschriften der angeblichen Behördenbriefe vornehmen. Und schnell ist klar, wer hinter den gefälschten behördlichen Schreiben steckt. Die Staatsanwaltschaft lässt dessen Wohnung durchsuchen und findet alle erforderlichen Beweise für eine Strafverfolgung.
Wer jedoch glaubt, die Geschichte hätte damit ein gutes Ende gefunden, der irrt. Denn obwohl seit dem letzten Jahr ein Strafverfahren gegen ihn läuft, führt der Konkurrent weiterhin erbitterte zivilrechtliche Verfahren gegen die beiden Amazon Verkäufer. Und das wohl Bedenklichste: Der Verkäufer handelt weiterhin auf Amazon unter einem neuen Account, der auf den Namen eines Familienmitglieds läuft. Obwohl Amazon mehrfach in Kenntnis darüber gesetzt wird, dass es sich um den gleichen Verkäufer handeln muss, passiert nichts. Trotz identischer Produkte und identischem Impressum reagiert Amazon nicht – auch nicht auf den Hinweis, dass sie mit einem mutmaßlichem Straftäter zusammen arbeiten.
Fall 2: Zweitgrößter deutscher Amazon Händler suspendiert
Dass Amazon oftmals willkürlich und ohne Vorwarnung Händler sanktioniert oder suspendiert, ist nichts Neues. Kürzlich hat es aber auch einen der größten deutschen Händler getroffen. Der Berliner Powerseller ReBuy ist in Deutschland der zweitgrößte Händler hinter Medimops und verkauft gebrauchte Waren wie Medien, Bücher und Elektronik. ReBuy beschäftigt über 490 eigene Mitarbeiter und setzte im Jahr 2018 über 140 Millionen Euro um. Im Februar 2020 waren einige Zeit keine Artikel von ReBuy mehr auf Amazon verfügbar, die Gründe dafür unklar.
Weder Nachfragen bei Amazon noch bei ReBuy direkt wurden beantwortet. Andere Marktteilnehmer vermuteten, dass ein fehlerhafter Amazon Algorithmus verantwortlich gewesen sein könnte. Denn aktuell beklagen viele Amazon-Seller, dass Artikel wegen falsch zugeordneten Zustand oder einer angeblichen Fälschung gesperrt werden. Diese Sperrungen erfolgen oftmals automatisiert und ohne genauere Prüfung und sind deshalb auch oft ungerechtfertigt.
So vermutlich auch im Fall von ReBuy – der Account hat gute Bewertungen und einen soliden Servicedienst. Im vergangenen Monat bewerteten die Kunden den Account über 41.000-mal positiv und lediglich 198-mal negativ. Das ist ein Service-Score von 99,3 Prozent – eine gute Leistung. Auch die Bonität für ReBuy wird vom Crefo-Strore als positiv beurteilt, eine Geschäftsverbindung gilt als zuverlässig, Kredite werden nicht abgelehnt.
Jedoch scheint auch die beachtliche Größe und Reputation des Unternehmens keinen Schutz vor Amazons Willkürlichkeit zu bieten, was erschreckend ist. Glücklicherweise nutzt ReBuy nicht nur Amazon als Verkaufskanal, sondern auch Ebay. Auch dort liegt der Händler mit über 41.000 Bewertungen sehr weit oben im deutschen Verkäufer-Ranking. Somit ist die Amazon Suspendierung zwar schmerzlich für ReBuy, aber vermutlich aufgrund der richtigen Strategie wirtschaftlich zu verkraften.
Der ReBuy Account wurde zwar nach einigen Tagen wieder entsperrt, der Schock über die Macht des Online-Giganten sitzt wahrscheinlich jedoch tief. Anscheinend liegt die Suspendierung einem Streitfall von ReBuy in Frankreich zugrunde, dort wurde im Februar über den Verkauf einer gefälschten Bootleg DVD gestritten. Amazon sperrte daraufhin alle Accounts. Dass Amazon den Fall individuell betrachtete und den deutschen Account nach ca. 2 Wochen wieder frei schaltete, liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass über den Fall intensiv medial berichtet wurde…
Eine Abhängigkeit von Amazon ist gefährlich
Amazon war noch nie eine einfache, kooperative Handelsplattform. Auch die Kommunikation ist in der Regel eine Katastrophe. Denn wenn die Härte von Amazon zuschlägt – sei es über automatisierte Sperrungen, Sanktionen oder Suspendierungen, ist jeder Versuch zur Klärung ein echter Kraftakt. Nachrichten vonseiten der Händler müssen jedes Mal den kompletten Sachverhalt aufs Neue schildern, denn Amazon vergibt keine Aktenzeichen. Außerdem werden die Nachrichten abwechselnd von anonymen Sacharbeitern beantwortet, die weder den Fall noch die bisherige Kommunikation genau kennen und einordnen können. Das Ergebnis: Chaos, lange Wartezeiten, unzureichende Ergebnisse.
Um die Situation hier zu verbessern, müsste Amazon eine eigene Stelle einrichten, die sich um ungerechtfertigte Suspendierungen und Sperrungen kümmert. Eigentlich sollte dem Online-Riesen ja auch daran gelegen sein, dass die Außenwahrnehmung positiv ist. Hier scheint sich Amazon jedoch zu sehr auf seine Marktmacht zu verlassen. Klar, es ist unumstritten, dass Hunderttausende Händler sehr erfolgreich auf Amazon verkaufen. Auch dass Amazon wohl der wichtigste Verkaufskanal für viele Online-Händler ist, ist Fakt. Jedoch sollte sich die Plattform nicht dauerhaft auf dieser Marktmacht ausruhen, denn wenn die Unzufriedenheit und die Angst der Verkäufer zu groß wird, besteht auch trotz der aktuell einmaligen Marktposition von Amazon die Möglichkeit der Abwanderung zu anderen Plattformen.
Amazon Alternativen sind unverzichtbar
Doch schon bevor der Frust allzu groß wird, sollte eine durchdachte Strategie mit Ausweichmöglichkeiten zu Amazon verfolgt werden. Bedenke immer, dass auch dein Dropshipping Amazon Shop angreifbar ist und nicht vor willkürlichen, automatisierten Zugriffen geschützt ist. Streue deine Handels-Aktivitäten deshalb über verschiedene Verkaufskanäle und handhabe es wie ReBuy. Nutze zum Beispiel eBay, einen eigenen Webshop oder andere Handelsplattformen der Zukunft. Welche Plattformen dabei die richtigen für dich sind, hängt individuell von deiner Positionierung und deiner Zielgruppe ab.
Auch Alibaba könnte eine Alternative sein – das Unternehmen hat sich von einer reinen B-2-B-Plattform mittlerweile zum wertvollsten Konzern Asiens gemausert. Knapp 600 Milliarden Dollar (ca. 550 Mrd. Euro) Börsenwert ist das Unternehmen mittlerweile schwer, ursprünglich aus 17 Mitarbeitern und einem Startkapital von 60.000 Dollar (ca. 55.000 Euro) entstanden. Heute ist die Plattform für alle Endverbraucher zugänglich, vom Werkzeug über Mode und Technik ist bei Alibaba alles erhältlich. Neben der gleichnamigen Handelsplattform hat sich der Gründer Jack Ma ein ganzes Imperium aufgebaut – unter anderem zum Beispiel die Plattformen Taoboa (das chinesische eBay), den Bezahldienst AliPay (das Paypal Chinas), den E-Commerce Shopanbieter Tmall, Aliexpress und den Logistikdienstleister Cainiao Network.
Egal, für welche Handelsplattformen du dich entscheidest, nutze in jedem Fall die für dich passenden Alternativen für Amazon. Amazon zu umgehen ist aufgrund der riesigen Reichweite fast unmöglich – jedoch solltest du für Vorfälle wie diese einen Plan B in der Tasche haben.